Die genre- und generationenübergreifende Ausstellung stellt historischen und aktuellen künstlerischen Positionen ausgewählte filmhistorische Exponate gegenüber, um der Wirkmacht und dem Nachhall des Kinos auf die Kunst und dem „kulturellen Gedächtnis“ nachzugehen. Die enorme gesellschaftspolitische Relevanz, die das Leitmedium „Film“ des 20. Jahrhundert innehatte, gehört unzweifelhaft der Vergangenheit an. Das Kino ist heute nur noch ein popkulturelles Unterhaltungsangebot unter vielen, ein Durchlauferhitzer in einer Kette synchronisierter Marktsegmente.
Die Themenschau bildet hybride Passionen und individuelle Obsessionen rund um den Kosmos Kino ab. „Was vom Kino übrig blieb“ wird von der Kunst aufgelesen, diversen Transformationsprozessen unterzogen und erfährt dadurch auch eine kritische Ehrung. Die Ausstellung versammelt eine Auswahl an filmspezifischen Kunstwerken und Artefakten, welche die Welt des Kinos – abseits von Filmen – hinterlassen hat. Von Interesse für diese thematische Ausstellung sind vor allem der Objekt- und der Fetisch-Charakter dieser Artefakte wie deren spezifische Materialität.
Das Schwinden der Kinokultur wird von den beteiligten Künstler_innen vielfältig thematisiert. Unzählige Motive aus der Filmgeschichte sind längst in das kollektive Bildgedächtnis eingegangen und werden oftmals, nicht zuletzt aufgrund ihrer Allgemeinverständlichkeit von Künstler_innen paraphrasiert, wobei sich Affirmation, Appropriation und (Repräsentations-)Kritik keineswegs ausschließen müssen. Die beteiligten Filmemacher_innen und Künstler_innen greifen unterschiedliche, etwa medienhistorische, technische, formal-ästhetische, soziologische oder psycholo-gische Aspekte einer globalen audiovisuellen Filmkultur auf, deren Bedeutung jedoch stetig abnimmt.
„Film“ meint hier sowohl ein elektromechanisches, optisches Verfahren, als auch eine tradierte Form audiovisueller Narration. Im Ausstellungskontext wird das Medium Film auf Weisen hinterfragt, die im Kino aufgrund des gegebenen unverrückbaren Dispositivs nicht möglich sind. Wesentlich dabei ist neben der Kontext-Verschiebung vor allem der Materialaspekt von Analog-Film, so wie auch der von Devotionalien, Merchandise-Artikeln, Relikten und Reliquien aller Art.
Der melancholische Titel der Schau ist bewusst mehrdeutig gewählt. Es handelt sich um eine Paraphrase auf den berühmten Roman- und Filmtitel „Was vom Tage übrig blieb” („The Remains of the Day”, Kazuo Ishiguro, 1989; James Ivory, 1993) und spielt im wörtlichen Sinn interpretiert auf die „Überreste” und die „Hinterlassenschaften” von Filmproduktionen an. Der Titel könnte auch die Frage beinhalten, was heutzutage – in Zeiten von Smartphones und Web 2.0 – noch an „Kino-Kultur” lebendig ist? Zugleich kann man ihn aber auch so lesen, als wäre das Kino bereits vergangen und nur mehr Reste und Ruinen davon übrig.
In der Ausstellung zeichnet sich auch ab, dass das Verhältnis von Kino und Kunst durchaus kompliziert und nicht immer ungetrübt ist. Dies hat sowohl mit den gänzlich unterschiedlichen Produktions-, Distributions- und Präsentationsmodi zu tun, als auch mit den verschiedenen Wertschöpfungs-
modellen und den jeweiligen Zielvorstellungen. Während das kommerzielle Kino lustvolle und eskapistische Unterhaltung für ein möglichst großes Publikum bietet, strebt die Bildende Kunst seit der Etablierung der Avantgarden des 20. Jahrhunderts auch öffentlichkeitswirksam pointiertere Ziele wie intellektuelle Aufklärung, formale Grenzüberschreitung und ästhetische Provokation an.
Der Fokus der umfangreichen Ausstellung liegt auf unterschiedlichen Ausprägungen der nachhaltig unter Druck geratenen Cinephilie, weshalb auch das Österreichische Filmmuseum und private Sammlungen originelle und ungewöhnliche Kollektionen zur Verfügung stellen. Die Exponate, die vom Österreichischen Filmmuseum zur Verfügung gestellt werden, wurden noch nie öffentlich gezeigt. Es wird z.B. eine imposante Sammlung von unterschiedlichen Glühlampen präsentiert, die in Filmprojektoren eingebaut waren. Weiters werden Zeugnisse privater Sammlerleidenschaft gezeigt, wie Ordner mit Zeitungsausschnitten von längst verstorbenen Filmschauspiel-
er_innen oder Originalausgaben von historisch relevanten Filmzeitschriften aus den 1960er Jahren.
Neben den Artefakten aus der Filmgeschichte werden als historische Querverweise auch ältere Kunstwerke präsentiert, die Zeugnis davon ablegen, dass Cinephilie auch in der Kunstavantgarde weit verbreitet war. So hat etwa der deutsche Konzeptkünstler Joseph Beuys den dystopischen Spielfilm “Das Schweigen” (SW, 1963) von Ingmar Bergman endgültig zum Schweigen gebracht, in dem er die fünf Filmrollen galvanisierte und sie zur Skulptur umfunktionierte. Der einflussreiche amerikanische Konzeptkünstler John Baldessari hat nahezu sein gesamtes Lebenswerk darauf begründet, dass er Filmstandbilder collagierte und durchaus humorvoll weiter bearbeitete.
Die Technik der Collage findet sich in einigen ausgestellten Werken wieder: Der französische Fotograf Eric Rondepierre hat etwa Interieurs aus Meisterwerken der Filmgeschichte zu unheimlichen, menschenleeren Räumen im Cinemascopeformat arrangiert. Der finnische Filmemacher und Künstler Mika Taanila zeigt eine umfangreiche Werkserie, bei der er durch das Zerschneiden von Filmbüchern überraschende Tableaus hervorbringt.
In der Themenschau sind heimische Künstler_innen aller Generationen vertreten. Einer der wichtigsten Vertreter der Nachkriegsavantgarde, Hans Scheugl, zeigt Kinderzeichnungen, die er im Alter von neun Jahren aus dem Gedächtnis nach diversen Kinobesuchen angefertigt hat. Die mittlere Generation ist unter anderem vertreten durch Johann Lurf, der bekannte Logo-Animationen von Hollywood-Studios zu einem furiosen Montage-Feuerwerk verdichtet hat. Die Sprengung von Fabriksgebäuden der Firma Kodak, in denen Analog-Film hergestellt wurde, wird durch die junge Filmemacherin Viktoria Schmid inhaltlich und formal umgedreht:: aus den imposanten Aschewolken entsteht im rückwärts abgespieltem Loop stets wieder eine neue Fabrik.
Die in der Steiermark aufgewachsene Malerin Katrin Plavčak hat eigens für diese Ausstellung eine mehrteilige Werkserie geschaffen. Diese Holzfiguren stellen Charaktere aus unterschiedlichen Dekaden der Filmgeschichte in Lebensgröße dar. Plavčak referiert mit dieser grotesken Figurengruppe auf die lebensgroßen „Pappkameraden“, die für Werbezwecke in Kinofoyers aufgestellt werden.
Besonders erwähnenswert ist weiters die Teilnahme des japanischen Künstlers Ryusuke Ito, dessen Werk erstmals in Österreich vorgestellt wird. In Rückgriff auf die Filmgeschichte baut er animierte Modell-Film-Sets, die Mythen und Helden des Kinos installativ wieder auferstehen lassen.
Die umfangreiche und prominent besetzte Ausstellung „Was vom Kino übrig blieb“ findet in Kooperation mit dem Österreichischen Filmmuseum und der Diagonale, dem Festival des österreichischen Films statt, die begleitend auch eine Filmschau präsentiert. Neben einem eigenen Vermittlungs-
programm und einem wöchentlichen Rahmenprogramm, das jeden Donnerstag um 18 Uhr informative Vorträge und experimentelle Konzerte kostenfrei anbietet, wird das Projekt im neu eingerichteten Online-Journal des Künstlerhaus, Halle für Kunst & Medien publizistisch begleitet und weiterführend thematisch aufbereitet.
16 03 2018 23:00
Schubertkino 1
Kurzfilmprogramm
kuratiert von Olaf Möller (Köln, Helsinki)im Programm der Diagonale, Festival des österreichischen Films
„Über das Publikum. Ein Film/Radio Experiment"
(AT 2018, Rosa John, Manfred Schwaba, Antoinette Zwirchmayr, 15’) – Toneinspielung von Radio Helsinki 92.6
„Phénakistiscope de projection de J. Duboscq 1824–1826"
(FR 1972, Jean Vivié, 3')
„Annonces pour exploitants 1917"
(FR 1917, Anonym, 2')
„The American Venus"
(Trailer, US 1926, Frank Tuttle, 2')
„Huono Filmi"
(FI 1950, Felix Forsman, 8')
„Filmsmälten"
(SE 1966, Tor-Ivan Odulf, 20')
„Aline Carola"
(AT 1990, Linda Christanell, 7')
„Kino Otok"
(HR 2016, Ivan Ramljak, 35')
„24 Frames Per Century"
(GR 2013, Athīná Rachī́l Tsangárī, 2')
17 03 2018 23:00
Schubertkino 1
„Nekromantik"
(DE 1987, Jörg Buttgereit, 68 Min.)